2019-08-01: Französisches Viertel / Huaihai Lu

Am Donnerstag, 01. August griffen wir auf unsere Metro-Erfahrung vom Vortag zurück und fuhren dieses Mal schon viel entspannter mit der U-Bahn bis zur Station Dashijie (Linie 8). Von dort gingen wir in die mit Platanen gesäumte Huaihai Zhonglu, seinerzeit Avenue Joffre, die als Modeboulevard eine lange Tradition hat. Schon in den 1930er Jahren ging hier einkaufen, wer sich in Shanghai mit dem neuesten Pariser Chic einkleiden wollte. Entlang dieser Prachtstraße befinden sich heute riesige Shopping-Malls und Edel-Boutiquen, wo alle möglichen Luxusartikel zu finden sind. Wie gut, dass wir auch an einem Birkenstock-Laden vorbeikamen …

Wir folgten der Huaihai Lu ca. 2km gen Westen. Die Straßenbeschilderung hier in Shanghai ist vorbildlich, denn auf den Schildern größerer Straßen werden immer auch zwei Himmelsrichtungen angegeben. Uns gefiel die Allee mit dem vielen Grün, obgleich wir in einem Reiseführer lesen mussten, sie sei geschmacklos von Geschäftsleuten aus Taiwan und Hongkong saniert worden: „… das Pariser Flair ist perdu. In die Kaufhäuser geht der Mittelstand zum Gucken, kaufen können hier nur die Neureichen“ (Marco Polo Reiseführer: Shanghai, Hanghzou, Sozhou, 2018, S. 36ff.). Nun denn.

Volker nutzte des Öfteren die Eingangsbereiche der großen Geschäfte, um sich im kalten Luftschwall der Klimaanlagen abzukühlen. Wir kamen erwartungsgemäß auch an einem China-Mobile-Shop vorbei, in dem wir nach Vorlage unserer Pässe chinesische SIM-Karten kauften, die wir z.B. für die Eröffnung eines chinesischen Kontos bei der Bank of China benötigen.

Die Huaihai Lu wird immer wieder als Lebensader des früheren französischen Sektors beschrieben. Was hat es damit auf sich? Hier ein kurzer Exkurs:

Die Niederlage im Ersten Opiumkrieg (1840-1842) gegen Großbritannien hatte zur Folge, dass das Kaiserreich China unter anderem zur Öffnung seines Handelshafens Shanghai und zur Duldung unbeschränkten Handels gezwungen wurde. In der Folge entstanden in Shanghai exterritoriale Gebiete mit eigener Verwaltung, Gerichtsbarkeit sowie Polizei- und Zollhoheit. Neben den Briten, die bereits 1843 das Gebiet im Nordteil des heutigen Bund für sich beanspruchten, wurde 1849 die französische Konzession auf dem Land zwischen der britischen Konzession und den Stadtmauern der ‚Chinesenstadt,‘ also dem historischen Stadtzentrum Shanghais gegründet und sukzessive erweitert. Heute sind dies die Distrikte Xuhui und der Westteil von Huangpu/Luwan, ein großes, heute nicht mehr zusammenhängendes Gebiet. Auf dieser einst sumpfigen Fläche wurde nun Land gewonnen, Wasserläufe zugeschüttet, französische Geschäftsleute und Händlern ließen sich dauerhaft nieder und richteten hier die Zentralen ihrer Ostasiengeschäfte ein. Bis 1920 hatte sich die französische Konzession als ein erstklassiges Wohngebiet für Ausländer aller Nationalitäten etabliert und war auch bei wohlhabenden Chinesen, Künstlern und Intellektuellen begehrt. Es waren prachtvolle Villen, noble Appartmenthäuser, hübsche Wohn- und Gartenanlagen, Cafés, Restaurants und von Platanen gesäumte Alleen entstanden. Nach dem Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 besetzte die Militärmacht Japan auch die bis dahin noch freien Internationalen Settlements und übernahm deren Verwaltung. Die Zeit der japanischen Besatzung ging am 22. August 1945 zu Ende; 1946 gab die französische Nachkriegsregierung ihr Konzessionsgebiet in Shanghai per Vertrag an China zurück. Obwohl in den 1980er und 1990er Jahren viel der alten Bausubstanz unkontrolliert abgerissen wurde, haben doch viele Wohngebäude die Zeit überdauert, etliche stehen heute unter Denkmalschutz oder beherbergen Museen. Das „europäische“ Flair in den Straßen und Gassen mit ihren schönen Platanen und Grünanlagen, zahlreichen Cafés und Bäckereien, Bars, Brauereien, Boutiquen, Kunstgallerien und Antiquitätenläden lässt leicht an die französische Lebensart und Bohème vergangener Tage erinnern.

(Französischen Konzession = französische Kolonialgebiet von 1849 bis 1946,
s. auch → Wikipedia: Shanghai, ausländische Konzessionen.)

Um abgesehen von der Einkaufsmeile also überhaupt etwas vom französischen Viertel zu sehen, bogen wir links in die Fenyang Lu ab. Diese Straße steht ganz im Zeichen der Musik: Kleine Läden, in denen Musikinstrumente gebaut und verkauft werden, machen natürlich Sinn, wenn in der direkten Nachbarschaft das Konservatorium (1927 gegründet) liegt. Hier sind die Hausanlagen kleiner, es gibt kleine Läden und Cafés, die zum Bummeln im Schatten der Platanen einladen. Volker aber war ob des Tempos, das Francesca vorlegte, weil sie noch weitere Ziele ansteuern wollte, nicht so begeistert (Anmerkung F: er war extrem motzig und übellaunig). Denn trotz des Schattens war es sehr heiß und es rührte sich kein Lüftchen in der schmalen Straße (Anmerkung F: war gar nicht so schlimm). An der Ecke zur Yueyang Lu steht ein auffälliges Denkmal (s. Foto), das an den russischen Dichter Alexander-Puschkin (1799 bis 1837) erinnert.

Von diesem Platz gingen wir in die Dongping Lu, die direkt auf das amerikanische Konsulat führt, wo wir rechts abbogen, um wieder auf die Huaihai Lu zu stoßen. Von dort aus nach links ging es zur Shanghai Library, der zweitgrößten Bibliothek Chinas. Wir suchten ganz in der Nähe die Ferguson Lane auf, weil wir hier in einem der netten Art déco Restaurants endlich Rast machen wollten. Die radelnde Frau, die wir hier sahen, gibt einen Ausblick auf Francescas zukünftige Art der Fortbewegung in Shanghai oder anderswo.


Und weil es ganz bestimmt von Vorteil ist, den Standort des deutschen Generalkonsulats zu kennen, marschierten wir in der Yongfu Lu an der Hausnummer 181 vorbei. Danach noch ein Bier und etwas Essen in der westlich ausgerichteten Boxing Cat Brewery in der Fuxing Xilu, bevor wir bei der Shanghai Library (SL) ermattet in die Metro stiegen und wieder zu unserem Appartment zurückkehrten. (Anmerkung F: Der Aufenthalt in der Boxing Cat Brewery verkürzte sich deutlich durch die Invasion kleiner biestiger Stechmücken, die mich ziemlich arg und nachhaltig verunstalteten.)

SL (© ForeignerCN.com)

Die ehemalige Französische Konzession ist ungefähr 10qkm groß und umfasst noch sehr viel mehr Straßenzüge und Ecken, die wir bei anderen Gelegenheiten noch weiter erkunden werden. Schließlich fand hier irgendwo auch der nationale Gründungskongress der Kommunistischen Partei Chinas statt, lebte der legendäre Gangster ‚Großohr-Du‘ und wirkte Agnes Smedley, eine Freundin von Käthe Kollwitz aus Berlin. In dieser Gegend finden sich auch die für Shanghai typischen Reihenhäuser, die Lilongs oder Longtangs, die zwischen 1850 und 1940 vornehmlich für chinesische Angestellte ausländischer Firmen entstanden. Ein spannendes Terrain also, bis bald!

 

Shanghai Library
Shanghai Library
Shanghai Library
Shanghai Library
Radlerin in der Ferguson Lane
Radlerin in der Ferguson Lane
Radlerin in der Ferguson Lane
Radlerin in der Ferguson Lane
Radlerin in der Ferguson Lane
Radlerin in der Ferguson Lane
Boxing Cat Brewery
Boxing Cat Brewery
Huaihai Lu Nähe Dashijie Station
Huaihai Lu Nähe Dashijie Station
Huaihai Park
Huaihai Park
Shopping
Shopping
Tanzen im Xiangyang Park
Tanzen im Xiangyang Park
Fenyang Lu Ecke Dongping Lu
Fenyang Lu Ecke Dongping Lu

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